Ich war gestern Abend mit meiner Freundin in dem Konzert
von IAMX hier in Berlin. Selten hat mich etwas so tief berührt. Gerade gestern,
dem Tag mit diesem Wahlausgang in USA. Janine ist die älteste Tochter meiner
Hebamme und Maries erste Babysitterin. Ich habe sie gestern nach 18 Jahren
wieder gesehen und während der ersten Songs stand ich weinend vor Rührung im
Publikum. Mir ist richtig die Luft weggeblieben. Es hat mein Herz aufgerissen
und eine Flutwelle Hoffnung hat mich durchströmt. Zu erleben, wie diese Frau
ihre Freiheit, ihre Kreativität, ihre Schönheit da oben auf der Bühne auslebt,
hat mich total weggeflasht. Noch nie und das meine ich so, habe ich einen
Menschen erlebt, der all seine Scham überwunden hat, völlig frei zu sich steht
und soviel Glück, Wunder und Liebe ausstrahlt. Und nein, die Musik ist weder
oberflächlich, noch Mainstream. Sie ist tief, berührt Schmerzen, ungeliebte
Wahrheiten. Sie ist wild und voller Feuer, dass alles abbrennt – ganz wie der
aktuelle Tourname „Everything is burning“. Voller Posie und Liebe und vor allem
voller Freiheit. Leicht mit all der Schwere. So wie das Leben gemeint ist.
Diese Band zeigt die Gleichzeitig, zeigt Freude pur, wildes
Tanzen, zartes Berühren, Sexualität neben Gewalt, Bilderfluten mit Texten und
Licht feinst komponiert, Wandel und immer wieder die Befreiung neben und von
all den anderen Gefühlen. Nicht umsonst trägt der Bandleader eine Krone aus
schwarzen Federn, wie ein Häuptling. Tragt sie, diese Krone, in dem Gewahrsein
das euer Weg wichtig ist für viele. Geht weiter, wir brauchen euch, damit wir
folgen können.
Ich stand da im Publikum voller Bewunderung und frug mich,
wie eine Frau so frei sein kann? Wieso konnten sie so werden? Ich sehe Janine
als 19-jährige vor mir und weiß es. Ich sehe ihre Kraft. Und ich sehe ihre
Mutter, ihre Ahnin, in ihrem Rücken stehen. Ich sehe diese Liebe. Ihre Mutter,
meine Hebamme, mit der ich meine beiden Töchter zu Hause auf die Welt brachte.
Die erste Schamanin, der ich begegnete und mit der ich meine ersten Taufzeremonien
erlebte und Bäume für meine Kinder pflanzte. Sie hat den Samen in diesem Leben
gelegt, warum ich heute Schamanin bin und Zeremonien abhalte. Eine Mutter, die
liebt, so wie es ist. Etwas Wichtiges habe ich damals das erste Mal in ihrer
Familie erleben dürfen: egal was für Krisen sind, die Kinder waren geliebt,
umhüllt, aufgehoben. Und ich konnte es bei allen vier Kindern sehen – ihre
Kinder waren sich ihrer selber bewusst und fühlten sich damit wohl, waren
geliebt darin, liebten sich selber darin. Ihnen wurde vertraut, sie wurden als
Wesen gesehen und erkannt. Das ist die Basis dafür, dass jemand in dieser Welt
als Janine Gezang auf der Bühne stehen kann. Dass jemand eine solche Freiheit
leben kann. Dass jemand die Widerstände, die uns Andere aufhalten uns zu zeigen
wie wir sind, mutig überwindet. Die Scham, die Angst, die Konzepte,
Glaubenssätze und co. Dass jemand diesen langen Weg geht, weil er weiß, er ist
richtig. Dass jemand dran bleibt an seinen Träumen, weil er an sich glaubt und immer
weiter geht, auch wenns mal schwierig wird. Ich konnte dieses Urvertrauen
gestern wiedererkennen. Es ist die Basis für alles. Mögen wir es alle in uns
wiederfinden.
Und wir können etwas dafür tun, dass dieses Urvertrauen
wächst. Das heißt, wir haben es in der Hand, dass diese Welt sich ändern kann,
indem wir unsere Kinder lieben. Sie so lieben, wie sie sind. In ihrer Wildheit,
in ihrer Schrägheit, in ihrer Unvollkommenheit, in ihrem Dasein ohne Leistung,
einfach weil sie sind.
Ich hab diese Kinder meiner Hebamme damals fasziniert von
ihnen fotografiert vor einem Hai. Ich sehe ihre Kraft, ihr Selbstbewusstsein. Und
heute weiß ich, dass ihre Strategie funktioniert. Was für ein Segen, dass ich
diese Hebamme damals kennenlernte. Ich schicke großen Dank an Dich.
Jugendportraits, C-Print, Diasec, 110 x 140 cm,
1999, o.T.
Ich verneige mich vor Dir, Janine, weil du vorausgehst für
uns alle. Und wir folgen und wir sind viele. Jeder folgt auf seine Weise. Diese
freie Kreativität kann man überall ausleben, nicht nur als Künstler oder
Schamane oder Hebamme. Wir dürfen sie uns nehmen, diese Freiheit. Und es geht
nicht um den Erfolg auf einer Bühne damit zu stehen oder damit sounsoviel Geld
zu verdienen oder eine volle Praxis zu haben oder oder oder – das sind alles
nur unfreie Konzepte. Es geht um die Freiheit des Seins. Frei sein, so wie wir
sind, im freien Fluss der eigenen Kreativität stehen, was immer kreativ sein
möchte in uns. Da können Häuser draus entstehe oder Biogärten, oder
Kinderspiele oder ein Gespräch oder ein Essen. Kreativ ist man nicht nur als
Künstler, jeder von uns ist das. Das ist unsere Art als Menschen, wie wir uns
entfalten können, wie wir die sein können, die wir sind. Und darin können wir
lieben. Wenn wir unsere Eigenart lieben und leben, dann achten wir automatisch
die Andersartigkeit der Andere, eines jeden Anderen und erkunden sie voller
Neugierde – dann gibt es keine Grenzen, keinen Rassismus, keine Religion oder
Idee, die nicht Platz hat, neben mir und meinem Dasein. Und wir alle dürfen uns
erinnern – wir sind viele und wir sind Liebe und verwandeln diese Erde in das,
was sie ist, einen Planeten der Liebe. Und auf diesem Weg, werden wir auch alle
Trumpanteile in uns in liebend veraschen. Mögen wir die Freiheit leben. Jeder
von uns. Heute mehr denn je. AHO
Danke für dieses wundervolle Konzert und euer Sein.
Nina
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