Mittwoch, 25. April 2012

Mein Lieblingstier ist der Phönix

und ich liebe Musicals. Ich bin Nina Schmitz, im April 68 geboren, lebe seit 3 Jahren in Berlin mit meinen beiden Töchter. Zwischen Haarkuren, Facebook und vegetarischem Essen (nicht ich bin Vegetarierin, meine Töchter für die ich immer koche), Filmabende, Tanzen oder der Karaokeanlage ist das Leben aufregend in so einer 3-MädelsWG. Und Berlin ein wunderbarer Ort um sich zu entfalten. Groß geworden bin ich auf dem Land in Westfalen zwischen Kühen und 68er Eltern, deren Widerstandskampf gegen das Establishment und ihrer gleichzeitigen Sehnsucht nach Sicherheit, mich geprägt haben. Mein Lieblingsspiel war „Die Rote Zora“: Wir tobten durch den Wald und lebten, wenigstens einen gefühlten Sommer lang ohne Eltern, in unserer selbstgebauten Hütte. Wenn abends die Sonne unterging, rannten wir heim, die Milch in Zinnkannen beim Bauer abholend. Im Winter hielten mich die Musicalplatten vom Gripstheater im Bann, die mir mein Vater von seinen Theaterinszenierungen an der Schule mitbrachte. Ich besaß keine Puppen, dafür Schnitzmesser und meine Mam legte wert darauf meine Haare rasple kurz zu halten. Ich erinnere mich, mit 9, an diese kreischende Dame, die mich aus der Mädchen-Toilette entfernte, als ich zum Beweis meiner Weiblichkeit die Hose runter lassen wollte. Noch bevor mir das gelang, schnappte sie mich am Hemdskragen und zerrte mich raus. Das und ein Notizbuch mit einer Auflistungstabelle über geleistete Haushaltsarbeit (meine Mutter rechts und links mein Vater) waren das Tribut der Emanzipation. Ich habe ihre Lebensfreude sehr genossen. Sie waren voller Liebe füreinander, wenn gleich mir erst heute der Sinn ihrer Strenge klar ist. Gewohnheiten zu durchbrechen ist eine zähe Aufgabe. Ich bin dankbar, dass sie für mich diesen Kampf kämpften, so obliegt es mir wieder weich zu sein und gleichzeitig ihre Erfolge zu genießen. Ich war 7 Jahre verheiratet und bekam nach dem Studium zwei Töchter. Hab sie im Tragetuch mit auf Fototermine geschleppt und sie im Arm gehalten, während ich Eröffnungsreden über meine Kunst hielt. Ich wollte Tänzerin werden und hab dann Kunst studiert. Ich fand mich, viel zu spät begreifend, wie bekannt Bernd und Hilla Becher sind, in ihrer Fotoklasse an der Düsseldorfer Kunstakademie wieder. Plötzlich ging es das erste Mal in meinem Leben darum, gezielt über Jahre an "meinem" Werk zu arbeiten, mich zu entscheiden, mich festzulegen und mich damit in der Öffentlichkeit zu zeigen. Bernd Becher war ein strenger Lehrer, der konsequente Arbeit von uns am eigenen Stil forderte. Sieben Jahre durfte ich an seiner Seite lernen, wurde von ihm als Meisterschülerin 96 entlassen, bevor er selber in Pension ging. Es folgte eine aufregende Zeit zwischen Ausstellungen, Reisen, Vorträgen, Stipendienanträgen und immer wieder neuen Fotos. Von jeher waren es die Menschen und ihre Geschichten, die mich lockten. Ich fotografierte eine Portraitserie nach der andern, bis ich mit einer Reihe Jungendportraits um die Jahrtausendwende einen Durchbruch erzielte. Zumindest für ein paar Jahre wurden meine Bilder überall gezeigt und verkauft. Ich hatte das seltene Glück mich und meine Kinder von Anfang an mit meiner Kunst finanzieren zu könnte, was ein großes Geschenk für die kreative Freiheit ist. Meine Bilder entwickelten sich immer mehr zu Geschichten. Ich liebte die Überlegung eine komplette Story in ein Bild zu verpacken. Wie der Querschnitt aus einem Film. Die inszenierte Fotografie hatte mich vollends in den Bann gezogen. Fotostories folgten auf Bewegungsbilder, bis ich 2002 Finalcut lernte. Für die Ausstellung zum Karl-Hofer Preises in Berlin brachte ich das erste Mal Fotografie und Musik zusammen, begreifend, dass ich Musik und Ton brauchte um Emotionen gezielt hervorzurufen. Mit dem Kauf meiner ersten Filmkamera, ging ich in Düsseldorf in eine kleine, private Drehbuchschule – ich wollte begreifen, wie ich beim Zuschauer die Emotionen auslösen kann, die ich zeigen will. Einsamkeit, Liebeskummer, Wut, Angst in allen Nuancen begleiten uns Menschen und der Weg sein eigenes Glück zu finden und es in sich aufzunehmen, zu halten, ist den meisten von uns nicht klar. Auf der Suche nach einem besseren Weg, machte ich parallel eine Coach-Ausbildung über drei Jahre bei Chuck und Lency Spezzano, ein amerikanischen Psychologenpaar, die eine ganzheitliche, systemische Aufstellungstherapie vermitteln. Während dieser Zeit schrieb ich Drehbücher, fotografierte und filmte, was ich finanziert bekam aus der Kunstszene, immer und gerne im Team mit anderen Künstlern. Ich verfolgte meinen Traum irgendwie den Menschen eine Möglichkeit zu geben ihr Leben zu verändern... zu verbessern, glücklicher zu werden. Auf die Idee mein eigenes zu verändern, kam ich noch nicht. Mein Leben drehte sich, wurde immer schneller. In diesen Jahren machte ich eine große Werbekampagne für die Müllabfuhr in Düsseldorf. Die „Awista Angels“. Ein Kunstprojekt bestehend aus einer Kinowerbung, 12 Doku-Musikclips, einer Printkampage, Ausstellungen und einer Buchpublikation. Ein tolles Projekt, weil ich direkt mit den Müllmännern arbeiten konnte. Mir liegt es an der Basis zu arbeiten. Schon während meines Studiums portraitierte ich drei Jahre lang das Rotlichtmilieu in Deutschland. Dort ist die Kunst am richtigen Ort, dachte ich. Ich wollte nicht nur für eine intellektuelle Elite Kunst schaffen, sondern für alle. Ich werde nie den Augenblick vergessen, als ich den Müllmännern das erste Mal in ihrer Kantine den Rohschnitt des Kinowerbefilmes vorspielte. Sie gaben sich selber Standingovations, johlten und pfiffen vor Begeisterung, wie Kinder. Sie waren so stolz auf sich und ihre Kollegen, die sich getraut hatten sich in blauen Perücken vor eine 30-köpfige Film-Crew zu stellen. Der Applaus galt nicht mir, sondern ihrem MUT. Dieses Lob war mir tausendmal lieber, als all die Zeitungsartikel zugleich. Dieser Moment hat mein Leben verändert. Ein halbes Jahr später verließ ich Düsseldorf, meinen Mann und den Kunstmarkt. Ich folgte meiner großen Tochter, die sich einen Platz an der staatlichen Ballettschule ertanzt hatte. Berlin. Eine große Stadt voller Menschen. Wild, bewegt und vor allem fröhlich. Tacheles reden, wird hier groß geschrieben. Es gibt nichts, hinter dem man sich hier verstecken kann und immer jemanden, der das auch schon gemacht hat und zwar besser als du es je könntest. Aber das macht nichts. Dir wird geholfen und plötzlich fällt all der Druck von einem und man beginnt sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: auf das, was ich wirklich will, was ich bin und was mich beglückt. Und ich will Filme machen. 
Dennoch es geht nicht ums MACHEN im Leben, sondern ums SEIN. Das Wesentliche im Leben ist ganz klein und nicht laut, pink und glitzernd (alle die mich kennen, werden an dieser Stelle lachen, weil ich liebe pink und trage es jeden Tag und in allen Nuancen.)
Ich sitze oft im Garten, genieße die Stille und die Ruhe in mir. Vorstellungen blättern von mir ab, wie Schuppen eines Dinosauriers. Ich dachte immer, mit großem Tamtam, herzzerreißendem Drama, harter Arbeit und großem Willenseinsatz würde man irgendwann da ankommen, wo man sich hingeträumt hat - bis ich begriff, dass ich mich weggeträumte und Ideen Anderer nachjagte. Ich habe mich verbogen und belogen auf dem Weg irgendwelchen Menschen zu gefallen. Hingefallen auf Asche, so dachte ich erst, bemerke ich das erste Mal Gold und Strahlen um mich. Nein, Quatsch... und doch, entschleunigt und frei bewege ich mich im Nichts  - es kommt mir tatsächlich gerade so vor, als würde ich einfach schweben, im Nichts des Alls und gleichzeitig bin das erste Mal in Sicherheit, geliebt und zu Hause. Die Sonne scheint. Mein Hier und Jetzt ist meine einzige Realität. Ich bin da, ein kleiner zarter Phönix (mit pinken Federn) und es macht gar nichts, dass ihn niemand sieht ausser ich. Und auch nicht, dass sich alles zu widersprechen scheint und doch einfach nur gleichzeitig exsistiert. 
Das erste Mal im Leben kann ich es fühlen: ich liebe mich. So wie ich bin, bin ich vollkommen und da. Ich bin einfach hier. Dieser Tag ist vollkommen, dieser Ort und alle die da sind, meine Kinder, meine Freunde, selbst meine Feinde sind richtig. Es ist alles gut. Ich habe einen Platz in diesem Leben und der ist hier in MIR.

Nina