Dienstag, 9. November 2010

Mut

Gestern habe ich mit meinen beiden Töchtern Harry Potter 1 geschaut. An der aufregensten Stelle des Filmes kommentierten Beide, wie aus einem Munde, Harrys Verhalten mit einem simplen Satz "Ich wäre da nie rein gesprungen." Kann ich voll verstehen, aber wie schade eigentlich!

Aber es stimmt genau, ich wäre auch nicht gesprungen..... der Unterschied zwischen einem Filmhelden und uns ist, dass wir immer alle möglichen Gefahren durchdenken bevor wir handeln und die Abwägung ins Ungewisse zu springen fast immer ausschließen.
Natürlich, die Handlung im Film wurde vom Autoren im Vorhinein geplant und der Held erhält immer zur Belohnung seines Mutes den Erfolg seiner Mission - dieser Satz löst bei mir aus, das im wirklichen Leben alles anders funktioniert, aber tut es das wirklich? Wir sind alle so geprägt von Vorsicht, Abwägen, Zögern - kurz Angst, dass die möglichen neuen Varianten gar nicht in unser Leben treten. Solange wir uns immer wieder auf den gewohnten Pfaden bewegen, kann nichts Neues in unser Leben treten.
Und insgeheim frage ich mich, ob wir Autoren nicht auch den Helden immer wieder diese Erfolge schenken, damit die Zuschauer sich doch trauen, auch im wirklichen Leben so zu handeln. Neugierig, spontan, ins Unbekannte springend! Jeder fiktive Held entspringt der Phantasie eines wirklichen Menschen, entspringt der Vorstellung einer Möglichkeit. Ich bin überzeugt davon, dass vorstellbare Begebenheiten auch eintreten können, dazu habe ich in meinem Leben schon zuviele Wunder erlebt. In Situationen, in denen ich keinen Ausweg mehr sah, hat sich mir unerwartet eine Möglichkeit eröffnet, an die ich niemals gedacht hätte - einfach, weil sie nicht in meinem Blickfeld war.
Deshalb sage ich auch gerne den Zusatz, wenn ich um Hilfe bitte: Und schick mir die Antwort so deutlich, dass auch ich sie kapiere und nicht übersehe!
Aber es stimmt schon, der Film-Held kann sich darauf verlassen, dass sein Autor ihn zum Erfolg entwickeln lässt und wir können uns auf nichts verlassen als uns selber - aber wenn mir als Auot die Lösungen einfallen, dannw erden sie mir wohl auch als Mensch im realen Leben einfallen!

Das sage ich so alles und es hört sich so an, als wäre ich so mutig und stark.... dabei, wenn ich alleine mein direktes Umfeld hier in dieser Sekunde betrachte... ich sitze in der Staatsbibliothek zum schreiben und ich sitze jeden Tag auf demselben Platz, dabei gibt es hier verschiedene Ebenen, Ecken und Richtungen - ich bin echt das Gewohnheitstier par Excelent - gehe immer in die gleiche Bar, immer am gleichen Tag... naja, sagen wir mal so, ich habe immer so Phasen in denen ich das Gleiche tue und dann verändere ich mein Leben für die nächste Phase - ich bin gerade nicht sicher, ob ich es dann immer verändere, wenn es sich bei mir etabliert hat? Und ob ich Alltagstrott so ablehne und meine Ablehnung daraus resultiert? Oder was in meinem Leben passieren würde, wenn ich meinen Beruf so einrichten könnte, dass er in sich, sozusagen täglich Änderungen beinhalten würde? Im Moment zeigt sich mir mein Leben auf jeden Fall so, dass sich alle 4-6 Monate alles total verändert.
Eigentlich mag ich das, denn so passe ich mein Leben immer wieder neu an meine neuesten Erkenntnisse über mich an.
Und das ist die neueste Erkenntnis über mich und Leben überhaupt: Menschsein heißt Veränderung, jeden Tag, dauernd. Und als Ergebnis ist man dann nach einer Weile tatsächlich ein anderer Mensch.
Ich hab gerade nochmal ein Buch über Drehbuchschreiben gelesen, wo der Autor die Causalität von einschneidenden Ereignissen (Dein Partner stirbt, jemand demütigt dich richtig doll oder du verlierst deine Arbeit) auf die Veränderung des Blickes auf die Welt und die damit einhergehenden veränderten Verhaltensweisen des Menschen schildert. Wäre ich als Kind vergewaltigt worden, würden mich heute Beobachter eventuell als schüchtern beschreiben. Wäre ich als Kind permanent von meinen Mitschülern gedemütigt, gehänselt oder verspottet worden, hätte sich meine Weltoffenheit niemals so ausgeprägt - und wieviel sind als Kinder von Kindern gemein behadelt worden - natürlich hat das geprägt und einen anderen Menschen aus jeden einzelnen gemacht, als wäre ich in einem andern Umfeld groß geworden.
Nein, das ist nichts Neues. Wir alle wissen schon lange, dass unser Selbst sich zusammensetzt aus Mitgebrachtem und Erlerntem, aus Genetik und Sozialisation, sagten sie früher. Heute weiß man, dass Sozialisation oft Familientraditionen sind; Generationen von Frauen verhalten sich auf die gleiche Weise zu ihren Partnern und tragen als direkte Konsequenz körperliche Schäden mit sich (z.B. die Niere als Beziehungsorgan reagiert körperlich auf psychisches Fehlverhalten mir selber gegenüber, was ich schon als Kind nachmachend bei meiner Mutter, und die bei ihrer abgeschaut habe). Die gute Nachricht dabei ist, dass mein Nierenschaden nicht vererbt ist, ist also nicht machtlos bin, sondern ich auch meine körperliche Reaktion/Krankheit heilen kann, indem ich die Ursache erkenne und eine neue Verhaltensgewohnheit trainiere. Alles andere als leicht, aber immerhin machbar!

Wenn wir uns klar machen, dass unser Leben aus einer Reihe von eigenen Entscheidungen besteht. Angefangen mit dem Entschluss, wann ich morgens aufstehe, was ich anziehe, esse, wen ich anrufe, wem ich mich öffne und etwas erzähle, was ich von mir zeige, ob ich Rücksicht auf meine Kopfschmerzen nehme oder auf das Gefühl "das würd mir jetzt total Spaß machen" - es sind alles klitze kleine Entscheidungen, die etwas ausmachen, die etwas bewirken und die eine Reihe von ebenso klitze kleinen Konsequenzen nach sich ziehen und so eine Wirkkette von Sein auslösen.
Wenn ich mir klar mache, wie sehr ich also in der Lage bin mein Leben in die eine oder andere Richtung zu manipulieren, dann erkenne ich meine eigenen Freiheit zum Sein.
Meine Entscheidungen sind wahrscheinlich nicht immer richtig, doch wenn ich mich zu ihnen bekenne, auch wenn sie falsch waren, dann bin ich auf dem Weg ICH zu sein.
Jeden Tag dem einen Schritt näher, was ICH bin.
Jeden Tag dem Gefühl näher, dass ich nur noch mache und bin, was sich gut anfühlt, was mir Spaß macht! Ich bin frei.
Und seien wir doch ehrlich, was haben wir denn zu verlieren, was wir nicht schon jedesmal, wenn wir nicht auf uns selber gehört haben, längst verloren hätten.

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