oder "Ich darf sein, wie ich will."
Ja klar, darfste das, denk ich. Und seh dir hinterher, wie du beleidigt auf den Balkon stapfst.
Mir ist noch nicht klar, wo mein Fehler in dieser Situation lag, ob ich mehr über gewaltfreie Kommunikation lernen muß oder einfach damit leben, daß mein Gegenüber, obwohl ich kein Urteil über ihn abgebe, meine Worte trotzdem nutzt, um sich selber zu verletzen.
Irgendwie ist es doch ein fettes Thema in unserer Gesellschaft: Fehler machen dürfen. Du bekommst schlechte Noten dafür, Punktabzug und Schimpfe – hmmmpf.
Als meine kleine Tochter letzte Woche das Bürgersteigende übersehen hat und ohne zu schauen mit dem Rad auf die Strasse fuhr und ich sie danach sofort zur Rede gestellt habe, ernst und bestimmt geschimpft habe, hat sie sich die Ohren zugehalten. War ihr zu heftig, mein Geschimpfe. Das beobachte ich immer wieder bei ihr und sehe auch, daß sie sich schämt für ihre Fehler, daß sie sich persönlich angegriffen fühlt, wenn ich sie kritisiere.
Es macht einen wichtigen Unterschied im Leben, zu begreifen, daß Fehler etwas Gutes sind. Fehler lassen mich wachsen, lernen, besser werden.
Fehler sind der Anfang des Erfolgserlebnisses. Erfolgserlebnisse sind Glücksgefühle. Ich habe etwas geschafft, ich habe etwas erreicht, überwunden, gelernt – und es gibt eine Ausschüttung von Botenstoffen, die mich in einen Höhenflug bringen – und der Anfang all dieser wundervollen Gefühle waren einst all die Fehler, die ich gemacht habe, waren der Mangel, daß ich etwas noch nicht konnte, über dessen Können ich mich jetzt so sehr freue – also muß ich doch absolut glücklich sein über jedes Auftreten von Fehlern, weil sie die Chance in sich bergen, daß ich wieder so ein Erfolgserlebnis haben kann, daß ich wieder eine solche Glückshormonausschüttung erleben darf.
Ich habe ein Bild von mir, wie ich gerne wäre. Ich habe eine Vorstellung, wie eine Situation sein soll oder eine Vision, was ich gerne können würde... sagen wir, ich will an Felsen hochklettern können. Ich kann mir vorstellen, wie sich das anfühlt/ sehe mich im Sonnenschein mit Stirnband und Kreide an den Händen an der Felswand hängen... ich gehe los an den Kletterfelsen im Friedrichshainer Park und komm noch nicht mal einen Meter hoch, meine Hände sind aufgeschürft und meine Unterschenkel brennen am nächsten Tag... ich entdecke meinen Mangel, ich entdecke die vielen Fehler, die ich mache und den weiten Weg, den ich gehen müßte um meiner Vorstellung zu entsprechen – aber nur meine Fehler, an der Felswand sehr deutlich der Fehltritt, der mich abstürzen läßt, lehrt mich, daß ich das nächste Mal besser zwei Zentimeter rechts mich festhalte und das ich Muskeltraining brauche, damit ich überhaupt die Kraft bekomme – Ausdauer ist gefragt im Üben. Das Bewußtsein über meinen Mangel in Kombination mit der Stärke meiner Vision/ das Bild, daß ich doch irgendwann da an der Felswand hänge – das beides treibt mich an... und solange ich meinen Mangel nicht persönlich nehme, sondern daraus so was wie sportlichen Ehrgeiz entwickle, macht es Spaß – ich erlebe auf dem Weg kleine Erfolgserlebnisse aus denen ich unglaublich viel Energie für noch mehr Üben ziehen kann – aber das ich Fehler mache oder etwas noch nicht kann (ich nenne das ganz bewußt „meinen Mangel erleben“) verändert ja nicht mich, also ich bin nicht unliebenswert, wenn ich noch nicht so gut an der Felswand hänge, wie jemand, der das schon 2 Jahre übt – ich bin die gleiche liebe, tolle Frau mit oder ohne diese Fähigkeit. Meine Fähigkeiten, daß bin nicht ICH, sondern das ist erlernbar. Fähigkeiten haben mit Übung zu tun, mit lernen und vielleicht eher mit Disziplin und Ehrgeiz, den ich wiederum aus positiven Erfolgserlebnissen ziehe. Das ist keine angeborene Eigenschaft, sondern eine Erfahrung.
„Macht mehr Fehler und macht sie immer schneller“ heißt die Überschrift in einem Zeitungsartikel aus der "Welt" vor ein paar Wochen. Das Zitat hängt fett in meiner Küche und die Tiefe dieser Bedeutung wächst in mir jeden Tag.
Jeden Tag versuche ich mir klar zu machen, daß jeder der mich kritisiert, mir die Chance schenkt, daß ich etwas lerne, was mich hinterher stolz auf mich sein läßt. Jeder kennt das gute Gefühl, wenn er etwas geschafft hat, was er am Anfang nicht konnte. Dieses Gefühl des Ich-könnte-Bäume-ausreißen oder Mir-gehört-die-ganze-Welt... oh, meine Güte, ich habe das eigentlich viel zu selten, finde ich und ich denke immer, daß all die Stars und erfolgreichen Menschen gerade mit diesem Gefühl so beschenkt sind.... das ist ihr Lachen, was ich mir so sehr für mich ersehne – es ist nicht das Geld, das Auto oder die Villa – sondern das Siegerlächeln in ihrem Gesicht, was mich davon träumen läßt, so zu sein wie sie....
Wenn ich die Reaktion meiner Tochter sehe und weiß, daß sie mich als Vorbild ihres Fühlens und Handelns hat, dann muß ich mir wohl eingestehen, daß ich all meine Fehler, meinen Mangel persönlich genommen habe – dann muß ich mir ansehen, daß ich mich selber verurteilt habe für mein Nicht-können, für mein Nicht-Schön-genug-sein, für mein Nicht-Gut-Genug-Sein... immer wieder stolper ich über diese Glaubenssätze in mir, mit denen ich mich selber fertig mache – „Das schaffst du sowieso nicht.“ „Das ist nicht gut genug, nicht pfiffig genug, nicht lustig genug, nicht was weiß ich denn nicht alles“
Dabei ist dieses Urteil einfach nur die Wahrheit – ja, ich bin noch nicht gut genug. Ich kann das und das tatsächlich noch nicht – aber das ist ja nicht schlimm. Ich bin unperfekt, ich bin noch nicht soweit – aber ich lerne es, weil ich will es erreichen und übe, ich übe jeden Tag...
Diese angebliche Schüchternheit hält mich nur davon ab, keine Erfolgserlebnisse fühlen zu können, wenn ich mich aus Angst zu versagen zurückhalte oder es gar nicht erst probiere.
Buddha hat es auch schon gesagt: der Weg ist das Ziel und ich fange erneut an die Tiefe dieses Satzes zu verstehen.
Vielleicht sollte ich mir ein Ritual ausdenken: jedesmal, wenn ich einen Mangel an mir entdecke: ich kann immer noch nicht gut genug schreiben oder koordinieren – ja, daß hat zur Folge, daß ich noch nicht am Ziel bin mit meiner Idee/ meinem Projekt, daß ich meine Vision noch nicht realisiert habe – aber ich begrüße Dich, mein lieber Mangel, sei willkommen, denn ich weiß, wenn ich es geschafft habe, Dich zu füllen, dann werde ich mich mal wieder so richtig glücklich fühlen. So verschönere ich mir den Weg zum Ziel!
Ist also besser einen Mangel zu entdecken und so die Chance auf ein glückliches Gefühl zu haben – als keinen Mangel zu fühlen und niemals ein glückliches Gefühl zu haben – genau, die Leute denken immer, daß man Glücksgefühle einfach so hat – nein, sie sind das Ergebnis von einer Handlung, die ich getan habe, etwas geschaffen habe.
Ja, das möchte ich meinem Kind vormachen, daß ich ein Begrüßungsritual feiere, jedesmal, wenn ich in Schwierigkeiten gerate, Probleme sich zeigen oder ich meine Fehler bemerke – denn all das sind Situationen, die nur auftreten, weil ich was zu lernen habe und ich deswegen die Chance bekomme, wenn ich die Schwierigkeit gemeistert habe, daß Problem gelöst habe, meinen Fehler durch lernen des Besser-machens aufgelöst habe – dann fühle ich mich wie mein eigener Held: glücklich, frei und als ob ich Bäume ausreißen könnte und davon will ich mehr in meinem Leben und so will ich auch meine Kinder lächeln sehen: das Siegerlächeln auf unseren Gesichtern find ich super!
Und ich scheiß drauf, daß ich früher in der Schule gelernt habe, daß ich schlecht bin, weil ich Fehler mach. Dieses Urteil hab ich schon damals als ungerecht empfunden, die hatten ja keine Ahnung, was in mir steckt, hab ich immer gedacht – und ich habs mich nicht getraut zu zeigen, weil ich dann ja noch mehr Fehler gezeigt hätte – und darin dreh ich mich bis heut!
Dabei: wenn ich andere beobachte – na zum Beispiel, wenn ich im Mauerpark das sonntägliche Karaoke anschau: alles Leute, die vollkommen unvollkommen üben und sich dabei zeigen. Da stehn Leute auf der Bühne, die können weder singen, noch sehen sie gut aus, aber sie bekommen einen tosenden Applaus von den fast 3000 Zuschauern. Sie bekommen den Applaus dafür, daß sie sich trauen, sich zu zeigen, eben obwohl sie so unvollkommen sind. Sie bekommen den Applaus dafür, daß sie ihren Mangel nicht gegen sich verwenden, sondern sich trotzdem lieben. Sie bekommen den Applaus, weil sie den Mut haben, sich mit ihren Fehlern zu lieben. Sie bekommen den Applaus, weil sie sich trauen, sich authentisch zu zeigen – so wie sie sind. Weil sie sich ihrer Selbst bewußt sind.
Und, weil sie geübt haben. Jeder von Ihnen hat zu Hause den Text auswendig gelernt und seine Performance eingeübt. Sie geben sich alle Mühe und dafür werden sie belohnt!
Ich lieb sie dafür, für ihre Fehler, für den Mut. Es ist nicht peinlich Fehler zu machen. Wir sind alle unvollkommen, selbst die, die da unsere Idole und Vorbilder sind - sie üben alle. Vielleicht haben unsere Vorbilder wirklich uns Anderen etwas voraus: vielleicht haben die schon begriffen, daß Fehler und Mangel/ das Unvollkommenheit der Anfang ihres Erfolges ist. Vielleicht feiern sie für jeden Fehler, den sie an sich entdecken, für jede Schwierigkeit auf die sie stoßen, ein Willkommensritual, weil sie begriffen haben, daß darin jedes Mal die Chance liegt noch erfolgreicher zu sein!
Echt verrückt: wenn in jedem Fehler die Chance für Glück liegt und wenn Glück doch mein eigentliches Lebensziel ist, dann bin ich ab jetzt d a n k b a r für jeden Fehler, den ich mache. Juhuuu, ich hab wieder einen Fehler gemacht, voll cool, das dreht meine ganze Erziehung um! Jetzt darf ich endlich sein, wie ich will!
Macht mehr Fehler und macht sie schneller - nehmt euch leicht und eure Fehler sportlich.
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